Der Weißstorch Ciconia ciconia im Spreewald
 
 
Der Weißstorch Ciconia ciconia im Biosphärenreservat Spreewald

Originalvortrag vom Brandenburger Weißstorchtag 4.Mai 2002

Arnulf Weingardt, Mozartweg 22, 15907 Lübben

1.Einleitung
Der Weißstorch ist der Großvogel, welcher sich großer Sympathie unter den Menschen erfreut. Über ihn ist soviel geforscht und geschrieben worden, wie über kaum eine andere Vogelart. Als Glücks-und/oder Kinderbringer ist er in unzähligen Märchen und Erzählungen des Morgen- und des Abendlandes präsent. Wie er durch sein Zugverhalten Europa, Kleinasien und Afrika verbindet, eint er wie selten eine andere Wildtierart Menschen in ihren Bemühungen zum Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen. Mit diesem Vortrag soll über die Bedeutung des Spreewaldes als Brut- und Durchzugsgebiet seit Vorliegen exakter Beobachtungen 1958 berichtet werden.

2.Untersuchungsgebiet (UG)
Das UG besteht aus der Fläche des Biosphärenreservates Spreewald in den Grenzen der Schutzverordnung vom 12.9.1990, die Größe absolut beträgt 484,6 km².
Das Biosphärenreservat Spreewald wird im wesentlichen von der im Baruther Urstromtal gelegenen Malxe-Spreeniederung gekennzeichnet.
Die sich daraus ergebende Landnutzung gliedert sich wie folgt
Nutzung Fläche qkm Flächenanteil %
Wald 134,6 27,8
Grünland 130,1 26,8
Acker 118,3 24,4
Siedlungen und Gärten 32,4 6,7
Verkehrsflächen 14,1 2,9
Gewässer 2,3 0,5
Brachen 32,5 6,7

Der Weißstorch besiedelt im UG die für ihn offene nutzbare Landschaft von 280 km², also Grünland, Acker und Brachen, wobei die Kulturlandschaftsinseln im inneren Spreewald (Leipe; Kleines und Großes Gehege) gegenwärtig nicht als Brutgebiet genutzt werden.


3.Situation im Biosphärenreservat Spreewald
3.1.Bestandsentwicklung
Bei der Weißstorchzählung im Jahre 1958 (RUTSCHKE 1961) ergaben sich für die drei Spreewaldkreise 124 Horstpaare auf 2247 km2 (StD 5,52). Für 1958, bzw. 1963 für Lübben, liegen detaillierte Kreislisten vor, so dass sich die Verbreitung im Gebiet des eigentlichen Spreewaldes ( heutige Grenze des Biosphärenreservates Spreewald mit 475,8 km2) nachvollziehen läßt.
Der Ausgangsbestand liegt 1958 (KNORRE 1961; Piesker in Litt.)bei ca. 74 Horstpaaren (kompe-liert) mit einer StD von 15,52 , allerdings ohne genaue Angabe des Bruterfolges. Die kompelierte Jungenzahl lag bei 150 ausge-flogenen Jungen. Die Horste waren homogen über den gesamten Spreewald verteilt, einschließlich folgender Gaststätten und Förstereien im inneren Spreewald: OF.Börnichen, Cafe Venedig, Dubkowmühle, F.Hartmannsdorf, Kannomühle, F.Schützenhaus, Polenzschenke, Wotschofska, Gasthaus Eiche. Selbst in lichten Wäldern wie dem Kriegbusch horsteten Störche!
Diese Horststandorte verwaisten infolge des Auflassens von Wiesen und der Wiederbewaldung ab 1970; eine Entwick-lung, die sich 1990 forciert hat. Mag das auch für den Weißstorch ungünstig erscheinen, so profi-tieren aber viele andere Arten davon, und zwar nicht zuletzt der Schwarzstorch. Versuche, in den 1990‘er Jahren diese Standorte durch noch so gut errichtete Nisthilfen zu aktivieren, waren vergeblich.
Viel schärfer als die geänderten Nutzungsverhältnisse wirkten sich auf den Weißstorch aber die Komplexmelioration ab Mitte der 1960‘er Jahre aus. Neben den Entwässerungen schlechthin, waren es die vielen ungesicherten 20-kV Stromleitungen die zu den neu gebauten Schöpfwerken führten, an denen zahllose Störche verendeten.
So sank die Zahl der Horstpaare im „Bilderbuchspreewald“ (Gebiet von Lehde, Leipe, Lübbenau) von 15 Paaren 1963 auf 7 Paare 1974, und 1 Paar (Lehde) im Jahr 2001.
Dies alles führte zum Rückgang der Population auf 67 Hpa 1984
Der Bestand lag viele Jahre bei ca. 70 Hpa im Spreewald und begann erst ab 1988 , wie allgemein in Deutschland, wieder leicht anzusteigen. Die Gründe hierfür sind nicht bekannt, sie können eigentlich nur mit besseren Bedingungen auf dem Zug und im Winterquartier zusammenhängen.
Wobei sich sicher die nach den Massenunfällen im Spreewald noch vor der Wende einsetzenden Umbaumaßnahmen am 20 kV-Netz auch positiv ausgewirkt haben werden.

Mit Einsetzen spezieller Horstsicherungsmaßnahmen und extensiven Formen der Landnutzung setzte sich der Trend ab Anfang der 1990èr Jahre fort und liegt heute bei 107 Horstpaaren im Biosphärenreservat.
Diese Standorte befinden sich in oder in der Nähe von Ortslagen, während die Standorte im inneren Spreewald bis auf eine Ausnahme nach wie vor verlassen sind. Diese Entwicklung führte zu Konzentrationen in den folgenden Gemeinden im Jahr 2001:
Burg 13; Lübben 10; Lübbenau 8; Straupitz 9; Schlepzig 6; Leibsch 5

Die übrigen Gemeinden haben ein bis vier Horstpaare

Abb.1: Weißstorchbestand und Jungenzahl im Biosphärenreservat Spreewald 1958; 1974; 1984; 1990 - 2001


3.2.Reproduktion
Die durchschnittliche Zahl ausgeflogener Junge je Horstpaar (JZa) lag im Spreewald in den letzten zehn Jahren bei 1,95.

Abb.2: Reproduktionsraten und Anteil erfolgloser Paare (HPo) im Spreewald von 1974; 1984; 1990 - 2001

Hervorzuheben sind die Brutergebnisse seit 1998, wobei 1999 sogar eine
JZm von 3,00 erreicht wurde.
Bemerkenswert ist auch der nur noch geringe Anteil von Horstpaaren ohne flügge Junge (Hpo).








3.3. Gefährdungen
Die Hauptgefährdungen der Art im Spreewald waren Entwässerungen durch die Großmeliorationen und Unfälle am 20-kV Leitungsnetz (KÖHLER 1996). Dies äußerte sich im Rückgang der Reproduktion und in einer hohen Zahl von Paaren ohne Bruterfolg, weil, meistens zwar unerkannt, während der Brut-und Aufzuchtphase Altvögel an solchen Leitungen verunglückten.

Als natürliche Verlustursache ist in unserer Region zuerst die Verklammung der Jungvögel in Starkregenperioden zu sehen. Dies führte zum Beispiel 1993 zu zahlreichen Verlusten. Hierdurch kommt es auch zum Absturz von Horsten in der Brutzeit, wenn die Nistunterlage instabil ist.
Weiterhin wurden Fälle der Prädation durch den Steinmarder Martes foina bei Gebäudebruten beobachtet. Dies führte oft zur Umsiedlung auf Elektromasten.
In solchen Fällen ist das Stellen von N-Masten eine Möglichkeit, diese werden sofort angenommen.


3.4.Bedeutung des Biosphärenreservates Spreewald für den Durchzug

Durch die Beringung und Besenderung vieler Störche in Europa und die Möglichkeit des Ablesens der Ringe an lebenden Vögeln, wissen wir gut über die Zugwege des Weißstorches Bescheid. Unsere Vögel ziehen zu meist in südöstliche Richtung in die Überwinterungsgebiete im östlichen und südlichen Afrika.
Ein Teil dieser Zugstraße berührt den Nordrand des Spreewaldes, wie folgende Beobachtungen beweisen:

10.8.1966 100 Ex. Wiesen nördlich Schlepzig O.Piesker
24.8.1970 84 Ex. Wasegwiesen nordwestl. Groß WasserburgO.Piesker
nächtigen auf Kiefern in Abt.64
10.8.1975 100 Ex. nächtigen auf Gebäuden in Neuzauche;
besonders auf der Kirche O.Piesker
23.8.1993 154 Ex. kreisend;thermik;Lubolz ->südost L.Balke
14.8.1994 74 Ex. in 1,5 h nach Süden über Polder H.&M.Haupt
Kockrowsberg
23.8.1995 46 Ex SW Gröditsch T.Noah
20.7.1996 56 Ex Dürrenhofe, Landgrabenniederung T.Noah
13.8.1998 36 Ex Niewitz-Rickshausen L.Balke
14.8.1998 60 Ex Wiesen Bei Boblitz I.Heinrich
22.7.1999 56 Ex Stoppel bei Burg R.Sellesk
13.9.1999 47 Ex auf Solitäreiche so Wußwerk T.Noah
17/18.8.2001 95 Ex rasten südwestl. Butzen, LDS A.Weingardt
nächtigen auf Kiefern und Stallanlagen, einige auf Häusern

Hieran sind Störche aus Schleswig-Holsteins, Ostniedersachsen, dem östl.Sachsen-Anhalt und Nordwestbrandenburg beteiligt. Hierfür gibt es 26 Nachweise in Form von Ringablesungen-und Funden. Die meisten davon in den Gemeinden Burg , Leibchel, Lübben, Neulübbenau und Neuzauche,.

Unvergeßlich ist es für den Beobachter, wenn diese Vögel an einem Spätsommertag wie an einer Perlenschnur aufgereiht nach Südosten ziehen oder in einem Dorf auf Antennen, Dächern, Schornsteinen etc. rasten und am nächsten Tag nach kurzer Zeit der Nahrungssuche in die Thermik fliegen, kreisend in 200-300 m Höhe steigen, und nach Südosten unseren Blicken entschwinden. Dies konnte bei 95 Exemplaren am 18.8.01 östlich Butzen, LDS, gut beobachtet werden.
Der Grund ist die im Spreewald (Baruther Urstromtal) vorhandene Nahrung und die Thermik über den Kiefernwäldern des Moränenrückens nördlich davon . Beide Naturräume ziehen sich weit südöstlich nach Schlesien hinein und wurden auch von drei der besenderten Störchen 2001/2002 zum Zug benutzt. Die weit fortgeschrittene Sicherung unseres Freileitungsnetzes kommt natürlich auch diesen durchziehenden Störchen zu Gute !


3.5. Schutzmaßnahmen

Diese setzen natürlich bei den Lebensräumen an.
Während im Spreewald schon 90 % des Grünlands und 80% des Ackerlandes entsprechend den Richtlinien des ökologischen Landbaus genutzt werden, ist es noch nicht zu den größeren angedachten Wiedervernässungen gekommen. Hier fehlt es am Durchsetzungswillen der dafür Verantwortlichen.
Auch zeigt das neuaufgelegte Programm zur Verbesserung des Landschaftswasserhaushaltes leider noch keine Wirkung.
Dabei gibt es zahllose sogenannter Kulturstaue, das sind die kleinen Staue in den Meliorationsgräben, wo einfach nur ein paar Bohlen eingesetzt werden brauchten

Nach den Massenunfällen an 20-kV-Leitungen im Jahr 1988 in der Region Lübben mit 41 toten Störchen begann im Einzugsbereich der damaligen Energieversorgung Calau bereits vor der Wende die schrittweise Entschärfung von gefährlichen Masten. . In Zusammenarbeit mit Naturschützern wurden vom Netzbetreiber ESSAG, heute envia, gezielt Hunderte gefährlicher Masten in der Nähe von Neststandorten und wichtiger Nahrungsflächen mit Abdeckhauben und Sitzhölzern entschärft. In der Umgebung von Schlepzig, einem der Storchendörfer des Unterspreewaldes, verlegte die ESSAG 20 kV-Leitungen unterirdisch.
Durch die Schutzverordnung zum Biosphärenreservat Spreewald (1990) mit dem Gebot „Freileitungen zu sichern und schrittweise zu verkabeln“ wurden diese Aktivitäten durch den Energieversorger „envia“noch beschleunigt und die Zahl der Todesfälle im Biosphärenreservat ging trotz des gestiegenen Brutbestandes zurück.
So gab es im Jahr 2001 nicht einmal den Fall, dass Elterntiere während der Brutzeit verunglückten, was fast immer zum Verlassen des Geleges bzw. der Jungen führt.
Ausdrücklich sei hier Winfried Böhmer gedankt, der unermüdlich für den entsprechenden § des neuen Bundesnaturschutzgesetzes gekämpft hat .
Eine weitere Schutzmaßnahme ist die Sicherung absturzgefährdeter Horste durch Metallkonstruk-tionen, hierdurch werden Horstabstürze durch Zusammenbrechen der Unterlage in Starkregenpe-rioden ausgeschlossen.
Seit 1990 ist dies im Spreewald und in dessen Umfeld mit finanzieller Unterstützung in Höhe von 80.000.- DM der Allianzumweltstiftung, München, bei über 100 Horsten durchgeführt worden. Diese Horste haben bisher allen Wetterkapriolen standgehalten. Das dürfte mit ein Grund sein, dass seit 1998 mehr als 75 % der Paare erfolgreich brüteten (Abb.2)!

Das Durchschnittsalter unserer Brutvögel (n=38) beträgt gegenwärtig 8,7 Jahre, mit einem Median von 8 Jahren.
Verteilt auf die einzelnen Jahre ergibt sich folgendes Bild:

Alter in Jahren 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 16 17
Anzahl 2 6 4 3 3 5 1 1 1 3 3 1 4 1

Ringfundauswertung Vogelwarte Hiddensee WES\wesrifsp

Mit 63 % sind die drei bis neun Jahre alten Störche an der Reproduktion beteiligt, erstaunliche ist der Hohe Anteil von über zehnjährigen mit 37 %. SCHULZ(1996) berichtet aus Rühstädt von einem Anteil von 78,5 % und 21,5 %. Dies ist ein Indiz für eine höhere Lebenserwartung der Spreewaldbrutvögel infolge des weitgehend entschärften 20-kV-Netzes.

Herkunft Brutstörche

Hier lassen sich Anhand von 38 Ringfunden erste Rückschlüsse ziehen.

Ansiedlungsentfernung km bis 50 50 - 100 100 - 200 über 200
Anzahl 14 15 5 4

Wegen der geringen Anzahl im Spreewald beringter Störche wurde nur eine spätere Brut im Beringungsgebiet nachgewiesen, wohl aber 14 Exemplare aus der engeren Umgebung, nämlich aus den Nachbarkreisen Beeskow, Cottbus und Luckau.
Hieran erkennt man die Notwendigkeit die ansonst gut betreute Spreewaldpopulation wieder in die Beringung aufzunehmen, auch um zu klären , ob unser Bestand aus sich selbst heraus wächst oder vom Zuzug aus Polen.
Die Ansiedlungen aus 50 – 100 km Entfernung stammen alle ebenfalls aus der Niederlausitz. In der Gruppe der 100 – 200 km vom Bruthorst angesiedelten finden sich Störche aus den Beringungshochburgen an Elbe und Havel sowie ein Vogel aus Mlada Boleslav in Tschechien. Die drei aus größerer Entfernung Angesiedelten stammten aus Westmecklenburg (211 km), dem Teichgebiet Milicz (248 km) und der Baryczniederung Schlesiens (351 km). Der Mecklenburger Vogel wurde 1984 in Unbesanden beringt und brütete 1999 und 2000 in Schlepzig. Der Storch aus der Baryczniederung erblickte 1986 in Oppeln, Schlesien, das Licht der Welt und brütete 1989 an der Gaststätte Bukoitza. Er verunglückte allerdings an einem 20 kV-Mast.

Die Durchschnittsentfernung der Brutansiedlungen beträgt 89,4 km und der Median liegt bei 74,5 km. Dies entspricht in etwa den Werten von 90,6 km und 63,0 km bei 142 Exemplaren, die SIEFKE (1981) für die DDR angibt
Das nur 20% unserer beringten Brutvögel aus den Beringungs- und Storchenhochburgen von Elbe und Havel stammen erstaunt, schließlich stammen 69% der Durchzügler von dort.

4.Zusammenfassung

Nach Rückgang der Population des Weißstorchs in den Jahren 1963 bis 1984 hat sich infolge der Beseitigung der Verlustursachen seit Ende der 1980‘er Jahre der Weißstorchbestand erholt und liegt gegenwärtig mit etwa 107 Brutpaaren um 40 % höher als zu Beginn der 1960‘er Jahre. Die Rückgänge im inneren Spreewald wegen Einstellung der Wiesennutzung wurden von den Zunahmen in den Randgebieten mehr als kompensiert. Das Sicherungsprogramm am 20 kV-Netz und die flächige Horstsanierung haben sich bewährt. Die Reproduktionsrate hat die Werte vor der Spreewaldmelioration nicht wieder erreicht, weil die hierfür notwendige Vernässung der Landschaft noch nicht realisiert wurde. Die Maßnahmen zur Verbesserung des Landschaftswasserhaushaltes sind hierfür der Schlüssel !
Mit 22,1 Horstpaaren je 100 km2 im Jahr 2001 ist der Spreewald das Großschutzgebiet mit der höchsten Siedlungsdichte und außerordentlicher Bedeutung für den Durchzug, daher sollte hier die Beringung wieder aufgenommen werden..
Das Biosphärenreservat Spreewald ist eines der Kerngebiete für den Schutz des Weißstorches in Deutschland (THOMSEN 2001), tuen wir alles dafür, das dass so bleibt.

5.Danksagung
Für das zur Verfügung gestellte Material und Hinweise zum Manuskript möchte ich mich hiermit bei allen Kollegen der Naturwacht Spreewald sowie folgenden Personen bedanken: Lotti Albrecht; Winfried Böhmer; Isabell Hiekel; Wolfgang Köhler; Dr. Ullrich Köppen; Hans-Peter Krüger; Bernd Litzkow; Thomas Noah, Harald Plaschna; Dietrich Ruhle; Frank Schröder