Die Vernässungsflächen Kockrowsberg und Kleines Gehege – ein landesweit bedeutendes Refugium für die Vogelwelt
Wie in vielen anderen Bereichen auch, so kam es 1990/91 zu grundlegenden Umwälzungen in der Landnutzung. Im Polder Kockrowsberg und im Kleinen Gehege wurde aus finanziellen Zwängen heraus der Schöpfwerksbetrieb eingestellt. Infolge schonungsloser Übernutzung schrumpfte der Moorkörper, es entstanden überflutete Wiesen. So setzte sich auch bei einigen wenigen Kritikern bald die Einsicht durch, dass die Flachseen gewissermaßen als Altlast intensivster Landwirtschaft anzusehen sind und nicht, wie zunächst vermutet, das Produkt illegaler Staumaßnahmen. Damals war kaum abzusehen, welch zentrale Stellung diese neu entstehenden Lebensräume nur wenige Jahre später für Sumpf- und Wasservögel einnehmen würden. Besonders erfreulich war die Tatsache, dass sich Arten ansiedelten, die bereits seit Jahrzehnten im Speewald ausgestorben waren und deren erneutes Brüten von Experten nahezu ausgeschlossen wurde. Seit Beginn der Vernässung wurden akribisch Daten über die Vogelwelt gesammelt, die bereits in zahlreichen Veröffentlichungen Eingang fanden und damit einem breitem Fachpublikum vorgestellt wurden. Ziel war es von Anfang an, die Dynamik der Brut- und Rastvogelbestände genau zu dokumentieren. Im gesamten Naturraum Spreewald, der etwa 1000 km² umfasst, wurden bisher 269 Vogelarten nachgewiesen, darunter 153 Arten als Brutvögel. In den Vernässungsflächen, die weniger als 1% dieses Areals ausmachen, waren es allein 230 Arten, wovon 114 Brutvögel sind. Sofort ins Auge fallen dem Betrachter die verschiedenen Vertreter aus der Familie der Entenvögel. Neben den Schwärmen von Nordischen Gänsen und Singschwänen, die ihr Erscheinen lautstark ankündigen, sind besonders die vielen brütenden Höckerschwäne weithin sichtbar. Allerdings ziehen alljährlich nur einzelne Paare Nachwuchs auf, weil Wildschweine mit großer Regelmäßigkeit die Gelege plündern. Etwas schwerer zu beobachten sind beispielsweise Pfeif,-Spieß,-Löffel,-Krick,-Krick-und Schnatterente, die hier alle brüten.. im Schutz einer Lachmöwenkolonie siedelte sich deer Schwarzhalstaucher an. Hier konnte jedermann ein Praxisbeispiel für ökologische Zusammenhänge hautnah erleben: Sobald Feinde, wie z.B. Rohrweihen auftauchen, wurden diese von den äußerst aggressiven Lachmöwen attakiert und meist vertrieben. Mit ausbleibendem Bruterfolg bei der Lachmöwe, vermutlich bedingt durch nächtliche Räuber wie Marderhund, Fuchs und Mink, erlosch die Kolonie. Schwarzhalstaucher brüten seither nicht mehr im Gebiet und auch die Entenarten sind in geringerer Dichte anzutreffen. Mit der Zunahme der Röhrichtbestände siedelte sich die vom Aussterben bedrohte Große Rohrdommel wieder an, eine Art die im Spreewald seit den sechziger Jahren als Brutvogel verschwunden war !, Deren nächtlicher Ruf bis zu 4 km weit zu hören ist. Auch für den Durchzug dieser Art spielt der Polder Kockrowsberg eine große Rolle, denn bis zu 7 gleichzeitig rastenden Dommeln stellen die für Brandenburg größte Ansammlung dar. Als weiterer charakteristischer Schreitvogel sei der Schwarzstorch genannt, bis zu 8 Vögel gleichzeitig, das sind praktisch alle im Spreewald noch brütenden, nutzen sie das reiche Angebot an Kleinfischen. Sonst kaum einmal zu sehen und sehr zurückgezogen lebend, gehören die Rallen und Sumpfhühner in lauen Frühjahrsnächten zu den auffälligsten akustischen Erscheinungen. Von der Tüpfelralle, die flach überschwemmte Wiesen zum Brüten benötigt, wurden bisher maximal 70 rufende Männchen in einer Saison ermittelt, derartige Zahlen sind in Deutschland eizigartig. Ähnliche Bedeutung im bundesweiten Maßstab erreichen die Vorkommen von Drossel- und Schilfrohrsängern. Daneben bewohnen Rohrschwirle und Bartmeisen größere Schilfröhrichte. Genauen Aufschluß über die Bestandszahlen der meist im verborgenen lebenden Schilfvögel erhält man am besten über die Vogelberingung. Dabei werden die Vögel mit sehr weichen, feinmaschigen Stellnetzen gefangen und nach der Beringung sowie dem Vermessen und Wiegen wieder unversehrt freigelassen. Die erzielten Ergebnisse werden im Rahmen von teilweise internationalen Projekten ausgewertet und dienen u.a. als Grundlage für Schutzkonzepte. Besonders spannend sind natürlich Wiederfunde in möglichst weiter Entfernung zum Beringungsort. Ein am 30.07.1999 im Polder Kockrowsberg beringter Drosselrohrsänger wurde im Dezember 2000 aus der Republik Mali / Westafrika zurückgemeldet. Der nur etwa 25 Gramm schwere Vogel legt dabei eine Strecke von 4476 km zurück! Gerade anhand der Beringungszahlen läßt sich eindeutig belegte, wie stark einige Singvogelarten an Feuchtgebiete gebunden sind. Hier müssen sie Fettreserven für den Weiterzug anlegen, und erneuern teilweise auch ihr Gefieder. Da die meisten schilfbewohnenden Arten nur in größeren Etappen von mehreren Hundert Kilometern Rastpausen einlegen, sind sie dringend auf weiträumig vernetzte „Tankstellen“ angewiesen. Fehlen diese Trittsteine auf ihren kontinente übergreifenden Wanderungen, so kommt es unweigerlich zu großen Bestandsverlusten. Aber nicht nur aus der Sicht des Artenschutzes sind unsere Vernässungsflächen einzigartig und unbedingt erhaltenswert. Wer erlebt nicht intensiv das abendliche Eintreffen vieler hundert Kraniche am Schlafgewässer und wer ist nicht fasziniert von tausenden Staren, die in bizarren Säulen lärmend ins Röhricht einfallen. Der Erlebniswert unserer, von zahllosen Touristen besuchten Landschaft wird durch solche Beobachtungen zusätzlich erhöht. In Zeiten großräumiger Flächenstillegungen sollten wir uns das leisten können, auch wenn einige wenige das anders sehen. Schließlich zeigt uns die Natur, dass binnen kurzer Zeit aus ehemals intensiv bewirtschafteten Agrarsteppen Vogelparadiese entstehen können –wer hätte das vor 10 Jahren erwartet.
Thomas Noah
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